Filmvorführung & Diskussion „Purpose – Ein neuer Kompass für unsere Welt“

Am 29. April 2025 luden der Umweltdachverband und das Circular Economy Forum Austria zur Filmvorführung von „Purpose – Ein neuer Kompass für unsere Welt“ und anschließender Podiumsdiskussion ins Filmhaus am Spittelberg in Wien. Die Diskussion zeigte eindrucksvoll, wie tief verwurzelt unser gegenwärtiges Wirtschaftsverständnis ist und wie notwendig es ist, dieses kritisch zu hinterfragen. 

Über den Film:

Der Dokumentarfilm stellt die grundlegende Frage: Welchem Zweck dienen unsere Wirtschaftssysteme und wie können wir sie neu ausrichten? Im Mittelpunkt stehen die Visionen von Katherine Trebeck und Lorenzo Fioramonti, die sich mit Nachdruck für eine Wellbeing Economy einsetzen – eine Wirtschaftsweise, die dem Gemeinwohl dient und planetare Grenzen respektiert.

Katherine Trebeck ist Mitbegründerin der Wellbeing Economy Alliance (WEAll) und war maßgeblich an der Gründung der Wellbeing Economy Governments (WEGo) beteiligt. WEGo versteht sich als ein Zusammenschluss von Ländern wie Schottland, Wales oder Island, die ihre Politik und Haushalte am Konzept der Wellbeing Economy orientieren. 

Lorenzo Fioramonti machte während seiner Amtszeit als Bildungsminister Italien zum ersten Land weltweit, das Bildung zu nachhaltiger Entwicklung und Klimawandel in allen Schulen verpflichtend einführte. Zudem ist er ein scharfer Kritiker des BIP als alleiniger Maßstab für wirtschaftlichen Erfolg.

Manche ihrer Ideen funktionieren, andere scheitern. Aber ein Anfang ist gemacht.

 

Im Anschluss diskutierten unter der Moderation von Karin Huber-Heim (Circular Economy Forum Austria)

  • Martin Oetting (Regisseur des Films)
  • Leonore Gewessler (ehemalige Klimaschutzministerin)
  • Thomas Jakl (Stv. Leiter der Sektion Umweltschutz und Kreislaufwirtschaft im BMLUK)
  • Katy Wiese (Policy Manager im European Environmental Bureau)

 

Impulse aus der Diskussion:

Regisseur Martin Oetting betonte, dass wirtschaftspolitische Grundannahmen oft als naturgegeben betrachtet werden – nicht als gestaltbare Entscheidungen. Maßnahmen, wie die Erweiterung von Wohlstandsindikatoren zusätzlich oder als Alternative zum BIP, wirken auf den ersten Blick unstrittig, stoßen aber auf Widerstand, weil Wirtschaft wie eine Glaubensfrage behandelt wird. Es fehle der Raum für offene Debatten, denn wer Grundsätzliches in Frage stellt, gilt schnell als ideologisch. Die zentrale Hürde sei daher, überhaupt wieder Diskussionsfähigkeit über wirtschaftliche Alternativen herzustellen.

Dem derzeitigen Wirtschaftswachstumsnarrativ könne noch kein breit verständliches Gegennarrativ entgegengesetzt werden. Es gäbe zwar viele Erkenntnisse und Wissen, aber dieses sei oft in schwer zugänglicher, wenig inklusiver Sprache formuliert. Deshalb brauche es dringend eine Übersetzungsleistung, um wissenschaftliche Erkenntnisse in alltagstaugliche Narrative zu übertragen. Eine breite gesellschaftliche Unterstützung sei notwendig. Ein solcher Wandel könne vielleicht in kleineren Ländern wie Österreich leichter sein, weil Veränderungsprozesse dort agiler sind.

 

Leonore Gewessler warb für demokratisches Engagement. Demokratie sei zwar anstrengend, aber auch eine Mitmachübung. Ihr Appell: Es brauche Engagement auf allen Ebenen. Genau deshalb habe sie sich im Gegensatz zu Filmprotagonist Lorenzo Fioramonti entschlossen in der Politik zu bleiben. Sie wolle das Feld nicht denjenigen überlassen, die sich gegen die demokratischen Strukturen auflehnen.

Weiters betonte sie, dass wir alle Zahlen der Welt haben, um zu wissen, was passiert – doch entscheidend ist, wie wir ins Handeln kommen. Veränderung brauche Menschen, die sich trauen, den ersten Schritt zu machen, auch gegen Widerstand. Sie brauche gemeinsames Dranbleiben, Stolz auf Zwischenschritte und einen langen Atem – gerade in Zeiten, in denen vieles unter Beschuss stehe.

 

Thomas Jakl wies auf die Herausforderungen hin, die eine Transformation zu einer zirkulären und am Gemeinwohl orientierten Wirtschaft mit sich bringt – insbesondere für produzierende Unternehmen. Ein zentraler Hebel seien Dienstleistungsmodelle. Als Beispiel nannte er Reifenproduzent:innen. Wenn sie statt Reifen Kilometer verkauften, verlören sie ihr Interesse, möglichst viel zu produzieren. Zudem würden sie mehr auf die Langlebigkeit der Reifen achten. 

Transformation passiere nicht von selbst – sie brauche gezielte Unterstützung für jene, die sie umsetzen müssen. Gerade in hochentwickelten Industrieländern sei das eine besonders anspruchsvolle Aufgabe. Während andernorts mit „low hanging fruits“ Vertrauen aufgebaut und Wandel angestoßen wurde, brauche es hierzulande deutlich mehr Investition in Change Management. Wer Transformation will, müsse sich auch den Akteur:innen widmen, die sie tragen – trotz Widerständen und langen Wegen.

 

Katy Wiese erläuterte vier wesentliche Aspekte, um die Wellbeing Economy trotz aktueller Herausforderungen voranzubringen.

  1. Allianzen und Solidarität: Breite, sektorübergreifende Koalitionen, einschließlich Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, Forschenden und progressiven Kommunalverwaltungen, seien entscheidend, um öffentliche Unterstützung zu mobilisieren und politische Wirkung zu entfalten.
  2. Ressourcen und geschützte Räume: Angesichts zunehmender Budgetkürzungen sei es essenziell, die Finanzierung zivilgesellschaftlicher Organisationen zu sichern und Räume für politische Bildung, Beteiligung und Selbstorganisation zu schützen. Die europäische Zivilgesellschaft, insbesondere Umwelt-NGOs, stehe durch Desinformationskampagnen derzeit massiv unter Druck – mit dem Ziel, die Glaubwürdigkeit, Finanzierung und Wirkung von NGOs zu untergraben.
  3. Demokratische Teilhabe und Machtverschiebung: Marginalisierte Stimmen müssen systematisch in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Eine Wellbeing Economy erfordere eine Umverteilung von Macht und inklusivere Formen der Governance.
  4. Eine starke Erzählung und konkrete Politiken: Es brauche eine überzeugende, wertebasierte Erzählung, die die Wellbeing Economy als reale, positive Alternative sichtbar mache – begleitet von konkreten politischen Maßnahmen, etwa in der Steuerpolitik (z.B. Vermögenssteuer), bei öffentlichen Dienstleistungen, in der Haushaltsführung (z.B. Gender- und Wellbeing-Budgeting) sowie bei klima- und sozialpolitischen Reformen, die den Wandel vorantreiben.

 

Fazit:

Die Veranstaltung machte deutlich: Eine Wellbeing Economy ist keine Utopie, sondern ein realer und notwendiger Gestaltungsrahmen für die großen Herausforderungen unserer Zeit – vorausgesetzt, wir schaffen Raum für neue, leicht verständliche Erzählungen, stärken zivilgesellschaftliche Allianzen und nehmen die Politik in die Pflicht. Mit Initiativen wie den Wellbeing Economy Governments (WEGo) existieren bereits wegweisende Modelle – jetzt ist es an der Zeit, dass auch Österreich diesen Weg einschlägt und sich klar zur Transformation für das Gemeinwohl und im Einklang mit planetaren Grenzen bekennt.

 

Die Veranstaltung wurde vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Klima- und Umweltschutz, Regionen und Wasserwirtschaft unterstützt und findet im Rahmen des Projektes „Wellbeing Economy und Beyond GDP“ statt. 

 

Rückblick in Bildern: (c) Sacha Gillen